Samstag, 5. April 2014

Kultur in Allerseelen

Kultur in Allerseelen
An einem Freitagabend im November vergangenen Jahres haben sich die Kulturinteressierten von Allerseelen im Hotel „Zu den drei Königen“ versammelt, um Ratnovskis Premiere beizuwohnen. Er ließ im ganzen Hotel spielen, im Innenhof und auf dem Parkplatz. Das Publikum folgte den Szenen um und durchs Gebäude. Die Truppe versuchte sich an Dürrenmatts ‚Besuch der alten Dame’ und Güllen war plötzlich überall, stand der Prunk des Vorzeigehotels im Gegensatz zu den bisherigen Produktionen des Impresarios. Ein Beobachter konnte sich zur Meinung gedrängt  sehen, der ausgefallene Aufführungsort würde nur dem Standortmarketing dienen. Nicht der künstlerischen Notwendigkeit. Tatsächlich war das Luxushotel Hauptsponsor der Inszenierung. Eine Gazette titelte im Voraus: ‚Ausverkauf der Kultur – Der Große Kniefall des Ratnovski’. 
Und tatsächlich wusste man in der Szene, dass der alte Mann des Theaters nicht mehr gut bei Kasse war und in Allerseelen wurden dies und das gemunkelt. Zudem konnten alle bestätigen, dass Kunst und Geld in einer schwierigen Beziehung zueinander standen und mit den Finanzen oft auch die guten Ideen ausgingen. Nichts desto Trotz feierte man die Aufführung und nach dem letzten Applaus trafen sich die Gäste, die Presse und Ratnvoskis Truppe im dekorierten Foyer. Silbergedeck und Kristallleuchter funkelten um die Wette. 
„Er ist ein schlauer Fuchs“, wusste Hans Krömer zu berichten. Sein Gegenüber mochte von einem Lokalblatt gesandt worden sein, jedenfalls machte er sich Notizen. „Er hat immer einen nächsten Plan und verblüfft uns mit seinen Ideen. Ich bin stolz und glücklich, dass er mich für seine Inszenierungen auswählt.“ Hans Krömer hatte eben noch Alfred Ill gespielt, nun bestätigte er dem Schreiberling wortreich, dass er das auch gerne getan habe. 
„Ist er nicht schwer verschuldet?“, fragte der Pressemensch platt. 
„Und wenn auch“, lachte Krömer. „Wir kriegen unsere Gage meistens rechtzeitig und Probleme hat er nur mit Institutionen. Er ist eben durch und durch Theatermann. Er gibt nie auf. Ich spiele seit zwanzig Jahren immer wieder für ihn und weiss, wie er tickt. Er ist ganz wunderbar. Auf der alten Bühne hatte wir keine Zuschauer mehr; aber hier im Hotel sieht es schon wieder anders aus!“ 

„Dass er sich nicht mit einfacheren Inszenierungen begnügen kann!“, tönte eine Frauenstimme an dem metallverzierten Tresen der Bar. „Weniger wäre mehr, sage ich immer wieder.“ Es war die Frau des Kulturbeauftragten, die so sprach. Sie führte das Champagnerglas zum Mund und nippte. Ihre Kolleginnen lächelten. Und nickten bestätigend. „Ihm fehlt das Talent zum Großen. Ratnovski will immer zu viel.“ 
„Das ist mir auch aufgefallen“, bestätigte eine Frau mit Zobeljacke. „ Und jetzt dieses Projekt auf dem Messegelände, habt ihr davon gelesen? Mein Mann will nicht darüber reden, obwohl er im Verwaltungsrat sitzt! Der Fantast ließ für das Musical eine ganze Halle umbauen. Bühne, Licht- und Tonanlagen,  Zuschauerränge – einfach alles.“ 
„Ich sage schlicht, ihm ist das Theater in den Kopf gestiegen. Basta.“ Die Wortführerin nippte wieder am Glas und die schweren Goldarmreife klapperten wie Messing. „Trotzdem ist es wichtig, solche Menschen zu unterstützen. Kleinkunst ist der Boden etablierter Künste, sagt mein Mann immer. Aber Ratnovski steuert seine Schauspieler aufs Sozialamt. Das Vertrauen im städtischen Kulturfonds sei dahin, sagt mein Mann. Das ist leider wahr. Aber uns persönlich spielt das keine Rolle und  wir sehen uns seine Aufführungen gerne an. Geld darf bei Kultur keine Rolle spielen, sagt mein Mann immer. Sonst ist sie tot!“ 
Wieder redete die Zobeljacke: „ Mir hat der Schauspieler Krömer persönlich erzählt, wie schlimm es um die Gagen stehen würde. Der Vollzugsbeamte wird bald herbeigezogen, sage ich. Trotzdem – die Aufführung war gut! Und das Hotel ist einfach wundervoll!“ Die Bestätigungen aus der Frauenrunde klangen wie das Gurren von Tauben. 

Zwei Wochen später telefonierte der Messeleiter mit dem Kulturbeauftragten: 
„Klaus, ich habe mit den Amerikanern gesprochen und wir werden uns einig.“ 
„Wie sieht eure Einigung aus?“ 
„Allerseelen wird Ratnovski keine Bewilligung für das Phantom geben, wenn er nicht zuerst die ausstehenden Schulden aus den Billettsteuern bezahlt. Das sind immerhin 300'000 Euro. Er hat seit Jahren nicht abgerechnet. Die Company sagt, dass sie Ratnovskis Vertrag künden und damit unsere direkten Partner werden. Das hat für die sogar den Vorteil, dass sie seine Gewinnbeteiligung nicht mehr auszahlen müssen. Die Premiere des Phantoms kann so termingerecht über die Bühne gehen und der Schaden wäre behoben.“ 
„ In Gottes Namen, ich sehe auch keine andere Möglichkeit. Ratnovski hat es sich selber verscherzt. Ich habe ihm oft genug gesagt, wie wichtig diese Billettsteuer sei und dass er die Forderungen ernst nehmen soll. Nun gut, es wird ihm eine Lehre sein. Seine nächste Inszenierung kann dann wieder auf einer normalen Bühne stattfinden. Meine Frau fand ‚Den Besuch der alten Dame’ gut, sagte aber, die Stimmung im Hotel hätte nicht zur Aufmachung des Stücks gepasst. Fünf Sterne und Dürrenmatts Sozialkritik würden nicht einwandfrei zusammen harmonieren. Man solle diese Gesellschaftsgrössen nicht mischen. Ich weiss auch nicht, was ihn treibt.“ 
 „Meine Frau erzählte mir am nächsten Morgen, der Höhepunkt des Abends wäre die Bar gewesen.“ 

Dann, in einer Dezembernacht, stapfte eine Gestalt auf dem Schotter der Bahngleise von Allerseelen Richtung Irgendwo. Schneeflocken stiebten. Der Lokomotivführer gab später zu Protokoll, dass eine Gestalt quer über die Gleise gestolpert sei und er nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Ratnovskis Körper fand man zerschmettert im Bahngraben. 

„Vielleicht hat er sich verlaufen. Vermutlich war er auf einem seiner Spaziergänge. Wenn er Selbstmord begehen wollte, wäre er doch nicht quer über die Gleise gegangen“, mutmaßte die Frau vom Kulturbeauftragten. Die Zeitung sprach vom unfassbaren Tod des größten Talents, welches Allerseelen hervorgebracht habe. Ein wahrer Künstler und Sohn der Stadt sei dahingeschieden. Warum, das sei allerdings ein Rätsel. Der Verwaltungspräsident des Messegeländes gab in einem Interview bekannt, dass sie eine Lösung für das Problem mit dem Musical „Das Phantom der Oper“ gefunden hätten und Ratnovski schon vor Wochen beruhigt sein konnte, dass sich der Vorhang öffnen würde.  ‚Warum hast Du uns verlassen?’, fragte der Titel vom Kulturmagazin. 

Im Monat März strich die amerikanische Produzentenfirma die restlichen Aufführungsdaten des ‚Phantoms’. Die Produktion floppte. Um ihren Schaden schmal zu halten, wurden die technischen Anlagen der Musicalhalle abgebaut und weggeschafft. In Allerseelen gab es keinen Vertragspartner mehr, der das Ganze hätte stoppen können. Allerseelen starrte in eine leere Halle und in ein Finanzloch von mehreren Millionen Euros. Messeverwaltung und Kulturfonds schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu, schlussendlich einigte sich die Stadtpolitik darauf, dass sie die Halle wieder herrichten und mit Gastproduktionen beleben wollte. Im gleichen Zug machte der Chef des Kulturfonds den Vorstoß, endlich das veraltete Gesetz über die verhasste Billettsteuer abzuschaffen, weil sie den Kulturbetrieb unnötig belasten würde. 
  
An der Einweihungsfeier für die neue Mehrzweckhalle mit Bühne hielt der Kulturbeauftragte eine Rede: „Wir freuen uns heute, dass Allerseelen der Kunst ein neues Haus schenken kann. Um so mehr, als dass Kunst das Elixier ist, welches den Menschen hinter den Grund der Dinge blicken lässt, ihn transformiert, aus ihm einen besseren, zivilisierteren Menschen macht. Kunst konzentriert sich nicht auf die pekuniäre Ebene, Kunst fordert von seinen Machern Selbstaufgabe und Arbeit, damit sie sich erschließen kann. Kein Geringerer  als der von uns gegangene Ratnovsky hat den Grundstein für diesen Tag gelegt und wir freuen uns gemeinsam über das gelungene Werk.“


Herbert Blaser

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